«rETHink ist zu einem Projekt der ganzen ETH geworden»

Die Analysephase des Organisationsentwicklungsprojektes rETHink ist abgeschlossen, die wichtigsten Handlungsfelder sind definiert. Jetzt geht es um die Erarbeitung von L?sungen, sagt ETH-Pr?sident Jo?l Mesot im Interview. Die ersten Entscheide fallen gegen Ende dieses Jahres.

Mesot
ETH-Pr?sident Jo?l Mesot. (Bild: ETH Z¨¹rich / Markus Bertschi)

Herr Mesot, das Projekt rETHink hat mit dem Abschluss der Analysephase einen ersten Meilenstein erreicht. Was geht in Ihnen vor?
Als uns vor gut einem Monat an einer Schulleitungsklausur die Resultate der Analyse pr?sentiert wurden, war ich ¨¹berw?ltigt. Zun?chst einmal einfach von der enormen Arbeit, die hier geleistet wurde, und f¨¹r die ich mich bedanken m?chte. ?ber 600 ETH-Angeh?rige haben sich in den vergangenen Monaten intensiv mit der Art und Weise besch?ftigt, wie wir zusammenarbeiten und organisiert sind. Sie haben dabei ohne Scheuklappen analysiert, welche St?rken wir weiter bewahren wollen und wo wir uns verbessern m¨¹ssen.

Die ETH geh?rt zu den besten Hochschulen der Welt. Wo genau wollen Sie da mit rETHink noch hin?
Ja, die ETH ist heute ausgezeichnet positioniert und steht im internationalen Vergleich hervorragend da. Doch der R¨¹ckschluss, dass es demnach nichts zu verbessern g?be, w¨¹rde nicht dem Spirit der ETH entsprechen. Wenn wir an die Zukunft dieser hervorragenden Schule denken, dann ist klar, dass wir uns auch auf organisatorischer Ebene weiterentwickeln m¨¹ssen. Mit rETHink wollen wir die Zusammenarbeit innerhalb unserer Organisation so verbessern, dass wir k¨¹nftig wieder mehr Energie und Freir?ume f¨¹r unser Kerngesch?ft also Forschung, Lehre und Wissenstransfer haben.

Und was hat die Analyse ergeben?
Wir haben bei rETHink entschieden, die Organisation von der Professur her zu denken, also von der Organisationseinheit, in der die Kernaufgaben Forschung, Lehre sowie Wissens- und Technologietransfer wahrgenommen werden. Ein Workstream mit ETH-Angeh?rigen aus allen Hochschulgruppen hat sich den Aufgaben und Herausforderungen der Professur gewidmet. Sie geniesst an der ETH seit jeher eine grosse Freiheit. Die Arbeitsgruppe kam zum Schluss, dass diese Autonomie ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist, sie wurde als schlagendes Herz der ETH bezeichnet - ein sehr sch?nes Bild, wie ich finde. Gleichzeitig stellte die Arbeitsgruppe auch fest, dass es gewisse Leitplanken braucht, damit die Autonomie im Sinne der Gesamtinstitution gelebt werden kann.

K?nnen Sie dazu ein Beispiel geben?
Da geht es zum Beispiel um die Organisation innerhalb der Professur oder die Art und Weise der Zusammenarbeit mit anderen Einheiten. Die Anforderungen sind in den letzten Jahren stark gestiegen: Die Studierendenzahlen sind gewachsen, weshalb mehr Lehrleistungen erbracht werden m¨¹ssen. Ebenso die Anzahl Professuren sowie die disziplinen¨¹bergreifende Zusammenarbeit, was zu h?herem Koordinationsbedarf f¨¹hrt. Von den Forschenden wird zudem erwartet, dass sie noch mehr und enger mit der Industrie zusammenarbeiten, Drittmittel einwerben und ihre Erkenntnisse vermehrt auch direkt der Bev?lkerung pr?sentieren. Lehre, Forschung, Technologietransfer, Kommunikation nach Aussen oder auch die ?bernahme von Aufgaben im Rahmen der akademischen Selbstverwaltung: Die Arbeitsgruppe erkannte, dass unseren Professorinnen und Professoren f¨¹r all diese Aufgaben immer ?fter die Zeit fehlt. Wo wir unmittelbaren Handlungsbedarf erkennen, leiten wir sofort Massnahmen ein, etwa indem wir die Leistungstr?ger der Schule in ihren Kommunikationsf?higkeiten unterst¨¹tzen und ab Herbstsemester Weiterbildungen im Rahmen einer ?Communication Academy? anbieten. Mit rETHink wollen wir neue L?sungen erarbeiten und unsere Organisation so weiterentwickeln, dass allen mehr Zeit f¨¹r die Kernaufgaben bleiben.

?Mit rETHink wollen wir die Organisation so weiterentwickeln, dass allen mehr Zeit f¨¹r die Kernaufgaben bleiben.?Jo?l Mesot

Diese Ergebnisse t?nen nicht sehr ¨¹berraschend¡­
Da haben Sie recht. Mich haben sie auch nicht ¨¹berrascht. Doch die Analysen gingen nat¨¹rlich tiefer. Und wie in solchen Prozessen ¨¹blich, wurden auch bereits erste L?sungsans?tze diskutiert. So kamen Ideen auf, die mich tats?chlich ¨¹berraschten, etwa vermehrt Ressourcen wie R?ume mit anderen Professuren zu teilen. So hat die Arbeitsgruppe erkannt, dass sich der Raumbedarf einer Professur in den verschiedenen Phasen ihres Lebenszyklus ver?ndert und wir diesem Umstand in der Raumplanung st?rker Rechnung tragen sollten.   

Die Professuren sind das eine, die Organisation der Ó¢»ÊÓéÀÖ das andere. Welche Erkenntnisse haben sich da ergeben?
Da stellen sich laut den Analyseergebnissen in der Tat teils grunds?tzlichere Fragen. So zeigt sich, dass unsere Strukturen und Prozesse teilweise hinter den Entwicklungen herhinken. Insbesondere die F¨¹hrungsstrukturen sind oft ¨¹berlastet. Damit ist unser starkes Wachstum angesprochen: Die informellen Prozesse, die eine schnelle Abstimmung und rasche Entscheide erlauben, scheinen an eine Grenze gekommen zu sein. Hier wollen wir ansetzen und unsere Prozesse effizienter gestalten, so dass wir alle weniger Zeit f¨¹r Administratives ben?tigen.

Und wie sieht es bei den Zentralen Organen aus?
Auch sie sp¨¹ren das starke Wachstum der ETH. Ihnen wurden in der Analyse eine hohe Kompetenz und ein hoher Leistungswille attestiert, gleichzeitig zeigte sich, dass sich viele Mitarbeitende ¨¹berlastet f¨¹hlen. Schw?chen zeigen sich auch bei der Zusammenarbeit und in der Kommunikation zwischen den Zentralen Organen sowie zwischen der Verwaltung und den Ó¢»ÊÓéÀÖn. Generell ist in den Zentralen Organen das Interesse am Projekt sehr gross, hier gibt es auch hohe Erwartungen an rETHink.

K?nnen Sie diesen Erwartungen gerecht werden?
Wir k?nnen sicher nicht alle Erwartungen sofort erf¨¹llen. F¨¹r mich ist rETHink ein andauernder Prozess, in dem wir die f¨¹r die ETH relevanten Zukunftsthemen priorisieren und kontinuierlich bearbeiten. Mit dem Abschluss der Analysephase geht es nun an die Erarbeitung von L?sungen. Dabei m¨¹ssen wir alle auch mit Unsicherheiten umgehen. Erwartungen und W¨¹nsche k?nnen sich mit der Zeit ?ndern, wenn man andere Argumente h?rt und sich auf andere Sichtweisen einl?sst. Deshalb ist es wichtig, dass sich auch in dieser Phase viele ETH-Angeh?rige an der Diskussion beteiligen. Und dass wir diese Diskussion offen und verantwortungsbewusst f¨¹hren. Gerade diese Vielfalt von Positionen und Meinungen machen unsere St?rke aus ¨C und die wollen wir auch bei rETHink voll ausspielen.

Wie geht es denn nun konkret weiter bei rETHink?
Erlauben Sie mir zuerst noch einen Blick zur¨¹ck: Die ETH hat in den vergangenen zwei Jahren bewiesen, dass sie sich ziemlich schnell weiterentwickeln kann. So haben wir unabh?ngig von rETHink eine neue Doktoratsverordnung erarbeitet und sind daran, die Richtlinien zur Guten Wissenschaftlichen Praxis zu ¨¹berarbeiten. Unser Begr¨¹ssungs-Programm f¨¹r neue Professorinnen und Professoren ist ebenso wie die ?leadership4faculty-Kurse? inzwischen zum Vorbild f¨¹r viele andere Hochschulen geworden. Es ist unglaublich viel in Schwung gekommen in den letzten Monaten, auch durch den Elan der beiden neuen Vizepr?sidentinnen. Innerhalb von rETHink haben wir f¨¹r jeden Workstream drei Handlungsfelder definiert, die noch dieses Jahr angegangen werden sollen (vgl. Liste unten). Anfang Oktober wird eine rETHink-Versammlung mit den Mitwirkenden aller Workstreams stattfinden. So werden die Resultate zusammengetragen und ¨¹bergreifend diskutiert. Ende Jahr geht dann ein erstes Paket an L?sungsvorschl?gen an die Schulleitung. Themen sind der Lebenszyklus von Professuren, F¨¹hrungsfragen oder die Professurenplanung.

Sie sprechen von Vorschl?gen?
Das ist richtig. Der Prozess sieht vor, dass in den Workstreams konkrete L?sungen erarbeitet und diese dann in der Organisation diskutiert werden. Die Entscheide fallen dann in der Schulleitung. Deshalb ist es zentral, dass bei rETHink die Mitwirkung im Vorfeld der Entscheide tiefer und breiter ist als bei gew?hnlichen Gesch?ften.

??ber die kommenden Monate wird rETHink noch viel mehr zu leben beginnen.?Jo?l Mesot

Wann fallen erste Entscheide, die ¨¹ber Organisationsfragen der Professur hinausgehen?
Zus?tzlich zu den laufenden Verbesserungen erwarten wir im Fr¨¹hjahr 2022 weitere Antworten, beispielsweise eine Kl?rung des grunds?tzlichen Rollenverst?ndnisses der drei institutionellen Ebenen Schule, Departement und Professur und daraus abgeleitet eine Kl?rung der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten. Damit einher geht ein gemeinsames Verst?ndnis der Zusammenarbeit zwischen den Ó¢»ÊÓéÀÖn und den Zentralen Organen. F¨¹r die Organisation der Ó¢»ÊÓéÀÖ, also deren Betriebs- und F¨¹hrungsstrukturen, sollen bis Ende 2022 eine Art ?Best practices? und gewisse Mindeststandards erarbeitet sein.

Das dauert ja noch ziemlich lange. Wann aber werden die Mitarbeitenden und Studierenden etwas von rETHink sp¨¹ren?
Das ist eine gute Frage, doch sie ist schwierig zu beantworten. Fest steht: Es werden nicht alle ETH-Angeh?rigen gleich stark tangiert sein. Es wird auch nicht einen Tag X geben, an dem wir einen Hebel umlegen und ab dem rETHink gilt. Es ist ja bereits in den vergangenen zwei Jahren sehr viel passiert. Zum Teil direkt initiiert durch rETHink, zum Teil beschleunigt durch das Projekt. So wird es weiterhin verschiedene Anst?sse geben, die etwas in Bewegung bringen. ?hnlich wie Wellen, wenn Sie einen Stein ins Wasser werfen.

Doch es wird sicher auch neue Regelwerke geben. Manchenorts herrscht auch die Bef¨¹rchtung von b¨¹rokratischen Ausw¨¹chsen¡­
Um diese Bef¨¹rchtung wissen wir in der Schulleitung. Zwar wird rETHink mit hoher Wahrscheinlichkeit Anpassungen im Regelwerk der ETH nach sich ziehen, etwa in der Organisationsverordnung oder in Weisungen. Gleichzeitig gehe ich davon aus, dass wir auch die eine oder andere bestehende Regel streichen k?nnen. Wichtig ist mir aber zu betonen, dass sich rETHink nicht prim?r im schriftlichen Regelwerk manifestieren wird. Die Arbeit an der ETH ist viel st?rker durch informelle Regeln, Erfahrungen und unseren Vorstellungen gepr?gt, zum Beispiel davon, wie wir in einem Team zusammenarbeiten. Daf¨¹r haben wir die Kulturdiskussion lanciert. Und deshalb ist es auch so wertvoll, dass sich bereits so viele ETH-Angeh?rige bei rETHink engagiert haben. Was belegt, dass die Mitarbeitenden gemeinsam die ETH voranbringen wollen und mit rETHink Hoffnungen verbinden. Sie haben aus dem Anstoss, den die Schulleitung vor zwei Jahren gegeben hat, ein Projekt der ganzen ETH gemacht. Und ¨¹ber die kommenden Monate wird rETHink noch viel mehr zu leben beginnen.

Zum Schluss eine pers?nliche Frage: Hatte rETHink bereits Auswirkungen auf Ihr Amt als ETH-Pr?sident?
Nat¨¹rlich, wobei die wichtigste Auswirkung auf einen Entscheid der Schulleitung zur¨¹ckgeht: Wir sind inzwischen sieben Personen in der Schulleitung. Wir haben mit den beiden neuen Kolleginnen an Diversit?t gewonnen. Diese Erweiterung ist f¨¹r unser Team ein riesiger Gewinn und hat uns dazu bewegt, unsere Zusammenarbeit neu zu definieren. Auch dank der offenen Diskussionen rund um rETHink haben wir uns in k¨¹rzester Zeit zu einem tollen Team entwickelt.

Die wichtigsten Handlungsfelder von rETHink

Workstream 2 ?Professuren?

Auftrag: Entwicklung und Umsetzung eines gemeinsamen und zukunftsf?higen Selbstverst?ndnisses ¨¹ber die Professuren an der ETH und entsprechender Leitplanken.

  • Aufgaben, Autonomie und Leitplanken der Professuren und breitere Abkl?rung zum Thema Lehrumfang
  • Interne Organisation / Gruppenstrukturen der Professuren
  • Flexiblere Nutzung von Ressourcen

Workstream 3 ?Begleitung der Professorinnen und Professoren?

Auftrag: Die Unterst¨¹tzung der Professorinnen und Professoren in ihrer pers?nlichen Entwicklung, ihrer Leadership-Funktion und ihrem Beitrag zur Gesamtinstitution.

  • Unterst¨¹tzung der Professorinnen und Professoren w?hrend ihrer gesamten Amtszeit
  • Unterst¨¹tzung von Professorinnen und Professoren beim Meistern neuer F¨¹hrungsherausforderungen
  • Reduktion der Belastung (Zeit, Energie, Risiken) beim L?sen schwieriger Situationen

Workstream 4 ?Organisation der Ó¢»ÊÓéÀÖ?

Entwicklung eines gemeinsamen Selbstverst?ndnisses der Ó¢»ÊÓéÀÖ, ihrer Kernaufgaben und Verantwortlichkeiten; Weiterentwicklung der Organisation und Prozesse.
 

  • Zusammenarbeit zwischen Ó¢»ÊÓéÀÖn und Zentralen Organen
  • Verbesserungen im Betrieb der Ó¢»ÊÓéÀÖ (R?ume, Immobilien, Finanzen)
  • Kl?rung von Aufgaben, Autonomie und Grunds?tzen der Ó¢»ÊÓéÀÖ

Workstream 5 ?Organisation Zentrale Organe?

Ausrichtung der Leistungen, Prozesse, Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten auf die Bed¨¹rfnisse der Professuren und Ó¢»ÊÓéÀÖ; Vorantreiben der Digitalisierung.

  • Umsetzung der Professurenplanung (Leitlinien, Umgang mit Opportunit?ten, Controlling, Prozesse etc.)
  • Digitalisierung: Themenfelder identifizieren (Prozesse, Technologien, Governance, Stakeholdermanagement etc.)
  • Weitere acht Handlungsfelder (Positionierung Services, Drittmittelbeschaffung etc.)

Workstream 6 ?Kulturentwicklung?

Weiterentwicklung der ETH-Kultur, um die Mission der ETH (?Wegweisend in einer komplexen Welt?) zu erf¨¹llen.
 

  • Anregung, Begleitung und Unterst¨¹tzung von Kulturdiskussionen
  • Aufgreifen von aktuellen Kultur- und Wertethemen

 

Townhall zum Abschluss der Analysephase

Am n?chsten Dienstag, 29. Juni 2021 findet eine Zoom-Townhall zum Abschluss der Analysephase von rETHink statt. Von 12.00 bis 13.00 Uhr werden gesamte Schulleitung sowie die operativen Workstream-Leiterinnen und -Leiter die wichtigsten Resultate und die daraus abgeleiteten und priorisierten Handlungsfelder vorstellen. Wie immer besteht die M?glichkeit zu Fragen an die Verantwortlichen. Und wie immer steht auch eine englische Simultan¨¹bersetzung zur Verf¨¹gung.

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